87% Missing
Videospiele in Gefahr
“87% Missing“, das ist der Name einer Studie, die die Überlebensrate klassischer Videospiele in den USA untersuchte. Das erschreckende Ergebnis: 87% aller vor 2010 in den USA erschienen Videospiele sind heute bereits nicht mehr spielbar. Das ist eine schlechtere Überlebensrate als von amerikanischen Stummfilmen und nur ein wenig besser als die von Tonaufnahmen, die vor dem zweiten Weltkrieg entstanden sind.
Videospiele sind damit überproportional von Verschwinden und Vergessen betroffen. Die Gründe dafür sind vielseitig.
Videospiele sind weder Kunst noch Kulturgut
Was bewahrt wird oder als schützenswert zählt, hängt meist ab von arbiträren Unterscheidungen. Heute und vor allem in Deutschland heißt es: Videospiele sind keine Kunst. Deswegen gelten Aus- und Maßnahmen, die dafür sorgen sollen, dass Kunst bewahrt werden kann, nicht für Videospiele oder die Technik, die sie bedingen. Spiele werden nicht aufgehoben, nicht in andere Speichermedien übertragen, wenn die ursprünglichen verschleißen, und sie werden nicht restauriert; diesbezüglich bestehende Initiativen kommen aus einer engagierten Community heraus, die zu jedem Zeitpunkt befürchten muss, strafrechtlich verfolgt zu werden.
Videospiele zwischen Kunst und Kühlschrank
Hinzu kommt die besondere Technik-Abhängigkeit und Modularität vieler (älterer) Videospiele. Um sie zu spielen braucht es passende Konsolen, Controller und teilweise weiteres Zubehör und Anleitungen. Selbst Spiele, die für Computer erschienen sind, können heute meist nur mit vielen Anpassungen und Modifikationen gespielt werden, die ein hohes Technik- und Softwareverständnis voraussetzen. Das bedeutet: selbst wenn Bibliotheken und andere Institutionen die Spiele an sich besitzen, haben sie häufig nicht die Möglichkeit, diese für die Öffentlichkeit tatsächlich nutzbar zu machen oder auszuleihen. Videospiele sind nicht nur audiovisuelles Erscheinungsbild sondern auch Software, Hardware, Speichermedium und Datenbibliothek.
Videospiele ohne Zuhause
Was passiert mit Videospielen, die nie einen „physical release“ hatten, also nur digital erschienen sind, wenn die Plattform oder der Service, in dem sie zuhause waren, abgeschaltet werden? Sie verschwinden für immer. Immer mehr Spiele erscheinen heute ausschließlich digital und immer weniger von diesen Spielen gehören tatsächlich den Spieler:innen oder werden überhaupt dauerhaft auf dem jeweiligen Nutzer:innengerät gespeichert. Die Folge ist das extrem instabile Dasein eines Mediums, dass kulturell immer wichtiger wird.
Games are part art and part appliance, part tableau and part toaster.
Ian Bogost 2015, How to Talk about Videogames